Der Konsul
Text & Musik: Gian Carlo Menotti
Musikalische Leitung: Ivan Demidov
Regie: Antje Schupp
Bühne: Christoph Rufer
Kostüme: Mona Hapke
Video: Gregor Brändli
Dramaturgie: Vera Gertz
mit: Kate Allen, Natalya Boeva, Sally du Randt, Irakli Gorgoshidze, Elene Khonelidze, A-Reum Lee, László Papp, Roman Poboinyi, Stanislav Sergeev, Susanne Siminec, Wiard Witholt
Augsburger Philharmoniker
Premiere am 1. Februar 2020 am Theater Augsburg
1947 las Gian Carlo Menotti in der New York Times von einer polnischen Emigrantin, die Suizid beging, weil man ihr die Aufenthaltsgenehmigung verweigerte. Den Komponisten erinnerte dieses Schicksal an seine jüdischen Freund*innen, die in den Jahren zuvor aus Österreich und Deutschland geflohen waren, und es inspirierte ihn zur Oper »Der Konsul«.
John Sorel muss seine Mutter und seine Ehefrau Magda fluchtartig verlassen, da er als Widerstandskämpfer aufgeflogen ist. Magda und er wollen sich im Nachbarland treffen, für das sie nun verzweifelt versucht, ein Visum zu erwirken. Doch ebenso wie zahlreiche andere scheitert sie im Konsulat an der Bürokratie. Gleichzeitig wird sie von Geheimagenten terrorisiert und ihr Kind wird immer kränker, bis es schließlich stirbt. Als John entgegen aller Warnungen zurückkehrt und festgenommen wird, begeht sie Selbstmord.
Menotti schuf mit seiner ersten abendfüllenden Oper eine politische Parabel über Polizeiterror, Diktatur und Bürokratie in einem anrührenden veristischen Ton. Mit expressiver Klanggewalt, dramatischen Höhepunkten und lautmalerischen Momenten zeichnet er das tragische Schicksal von Magda Sorel.
Die Uraufführung 1950 in New York feierte einen großen Erfolg, es folgten 269 weitere Aufführungen am Ethel Barrymore Theatre und die Oper wurde sowohl mit dem Pulitzerpreis als auch mit dem Drama Critics’ Circle Award ausgezeichnet. Diese Ehrungen verhalfen dem Komponisten und seinem auch heute noch brandaktuellen Werk zum internationalen Durchbruch.
Im martini-Park erzählt diese dramatische Geschichte die junge Regisseurin Antje Schupp, deren politische Inszenierungen und gegenwärtige Erzählweisen bereits am Schauspielhaus Zürich, an den Münchner Kammerspielen und am Theater Basel zu sehen waren.
>>> TEASER "Der Konsul"
Zwischen Hitchcock und Grenzzäunen (Antje Schupp, Programmheft "Der Konsul")
»Der Konsul« ist ein Kind der 1950er-Jahre und zu Beginn der Vorbereitungen klang es für mich auch überwiegend danach. Mehr als einmal fühlte ich mich an die Filme von Alfred Hitchcock erinnert, in denen dessen berühmte »Suspense« (Spannung) musikalisch verstärkt wird.
Auch »Der Konsul« arbeitet mit Suspense. Jeder Auftritt, jede Reaktion, jeder Schatten scheint vertont zu sein. Menotti nennt sein Werk ein »Musical Drama«, und es macht seinem Namen alle Ehre. Am Ende sind drei von vier Hauptfiguren tot, das Schicksal der anderen Personen ist ungewiss. Zugleich sind viele Szenen sehr komödiantisch angelegt. Es wird getanzt, hypnotisiert und alles Mögliche aus Büstenhaltern hervorgezaubert. »Der Konsul«: ein »Entertaining Drama«?
Um bei Hitchcock zu bleiben: Es gibt sogar einen MacGuffin und das ist der Konsul selbst. Obwohl er titelgebend ist und fast alle Figuren ihn verzweifelt treffen möchten, tritt er nie auf. Er ist »busy« und hält sich über seine Sachbearbeiterin erfolgreich alle Antragsteller*innen vom Leib.
Die Bedeutung der Oper zeigt sich, 70 Jahre nach ihrer Entstehung, in ihrer thematischen Brisanz. Die Geschichte erzählt von Menschen, die fliehen müssen, eine Aufenthaltsgenehmigung oder einfach nur ein Visum brauchen. Ihre individuellen Schicksale haben eines gemein: Sie alle scheitern - mit einer Ausnahme - bei dem Versuch die notwendigen Papiere zu erhalten. Im Zentrum steht Magda Sorel, Frau eines Widerstandskämpfers, der sich gleich in der ersten Szene über die Grenze ins Nachbarland zu retten sucht. Die Handlung spielt in einem nicht näher definierten Staat, der politisch Oppositionelle mit aller Härte verfolgt. An dieser Stelle darf man sich ein Land seiner Wahl aussuchen. Auch in 2020 gibt es genügend Staaten auf der Welt, die diese Praxis anwenden.
Die Sorels sind also politisch Verfolgte, die nach internationalem Recht Anspruch auf Asyl hätten. Nur leider kommen sie nicht soweit, überhaupt erfolgreich einen Antrag zu stellen. Anstatt Hilfe zu erhalten, findet sich Magda im Dschungel der Bürokratie wieder, in dem man nie genau weiß, ob die Sachbearbeiterin als ausführendes Organ einfach ihren Job macht oder die Vorschriften als Ausrede vorschiebt, um nicht weiter über ihren individuellen Handlungsspielraum nachdenken zu müssen.
Die Sachbearbeiterin – stets alleine bei der Arbeit, eine Sparmaßnahme des Konsulats – darf aber nicht als alleinige Schuldige gesehen werden. Ihre Situation ist zu komplex, um ihr Handeln innerhalb des vorgegebenen Regelwerks pauschal als »richtig« oder »falsch« zu bewerten. Als jedoch die bis dato ferne Realität der Antragssteller*innen ins Konsulat einbricht, wird auch sie unmittelbar mit der Frage konfrontiert, wie sie sich verhalten soll. Für diese Entscheidung, die es zu fällen gilt, gibt es keine Richtlinie.
Die Frage, wie Nationalstaaten heute und in Zukunft mit einer vermutlich ansteigenden Zahl von geflüchteten Menschen umgehen werden, bestimmt jedenfalls bereits jetzt die Politik und unseren Alltag. Dabei ist es ein entscheidender Unterschied, auf welcher Seite der Grenze man sich in diesem Alltag befindet. Während wir uns im Theater »Der Konsul« ansehen, sitzen in Europa zehntausende Menschen in Lagern fest, weil es keine Einigung darüber gibt, in welches Land sie weiterreisen dürfen. "Der Konsul" ist keine Fiktion, er ist ein Spiegel unserer Realität. Wie wir, die wir helfen und handeln können, auf diese Realität reagieren, wird unsere Zukunft prägen.
»What will your papers do? They cannot stop the clock..«
PRESSE
BR 24, Antje Schupp im Gespräch mit Peter Jungblut "Ohne Visum bleibt nur der Tod"
BR Klassik, Henrik Oerding, "Das Krachen hallt nach – so wie dieser Opernabend."
A3 Kultur, Renate Baumiller-Guggenberger, "Selten hat man ein Premierenpublikum derart überwältigt erlebt."
Süddeutsche Zeitung, Paul Schäufele, »Schupp hat das Sujet der Parabel ins Bild übersetzt: den Solipsismus der Leidenden, den abgelenkten Blick.«
Online Merker, Werner P. Seiferth, "Das Publikum im nahezu ausverkauften Martini-Park verfolgte die Aufführung mit ehrlicher Ergriffenheit und spürbarer Anteilnahme. (...) Hinfahren! Anschauen!"
Augsburger Allgemeine Zeitung, Manfred Engelhardt, "Die kürzlich mit dem Züricher Festspielpreis ausgezeichnete Regisseurin schärfte mit klug ausbalancierter Präzision die brisante Aktualität dieses Stoffes."
Orpheus Magazin, Renate Baumiller-Guggenberger, "Ein Musiktheaterabend, der rundum professionell gemacht ist, unserem Jetzt leider verdammt nahekommt und definitiv unter die Haut geht."
alle Fotos ©Jan-Pieter Fuhr